Die akademische Reitkunst
2004 entdeckte ich auf einem Ramschtisch auf der Pferd und Jagd für 10 Euro das Buch von Bent Branderup.
Mit diesem Buch, genauer mit dem Untertitel "für den anspruchsvollen Freizeitreiter", begann für mich ganz plötzlich eine vollkommen neue Sichtweise auf die Reiterei, es eröffnete tatsächlich mir, einem ganz normalen Menschen, die Möglichkeit, in Richtung Hohe Schule zu denken, was ich vorher nie gewagt hatte! So wurde es für mich zu dem wertvollsten aller Bücher, die ich je besessen habe!
Es gab nun nicht mehr nur den einen Weg, nämlich eine Bereiterlehre in Bückeburg, Jerez, Wien oder Lissabon zu absolvieren, um ein sehr guter Reiter zu werden: ich selbst konnte tatsächlich von nun an hoffen, einige wichtige Schritte in diese Richtung zu gehen! Neben meiner Arbeit und meinen anderen Verpflichtungen, in meinem Tempo und mit den einfachen Mitteln, die mir zur Verfügung standen!
Skala der Ausbildung bei La Broue, Cavendish/Solleysel und Guérinière
Nach der Ausbildung in den
einfachen Grundgangarten Schritt und Trab auf geraden, später
gebogenen Linien, und danach mit dem Schulterherein zum Lockern der
Schultern übt man mit dem Pferd das Kruppe einwärts, um es „auf
die Hüften zu setzen“: hierbei sollte dringend die Anweisung
Guérinières beachtet werden, das Pferd hierzu entweder auf dem
Zirkel zu arbeiten, oder aber, wenn eine Wand unbedingt erforderlich
erscheint, niemals das Pferd mit dem Kopf oder der Schulter in die
Wand zu treiben, sondern mindestens 1.5m Abstand zur Wand einhalten,
oder, viel besser: es mit der Kruppe zur Wand (Croupe au mur) zu
arbeiten.
Danach folgt, noch vor der Arbeit im Galopp:
1.Das Seitwärts
(Passege/Passager/passegieren/passagieren): das
Seitwärtsgehen im Schritt mit einer Abstellung von bis zu 85°,
welches ein Übertreten der äußeren über die inneren Beine
erzeugt. Ist die Abstellung ausreichend stark und das Pferd
trittsicher und im Gleichgewicht, erzeugt dieses Übertreten nicht
selten einen echten Zweitakt genauso wie in der Trabaktion, häufig
aber zieht dabei das Pferd das äußere Hinterbein mehr oder weniger stark
nach. Dieses Nachziehen dauert umso länger, je geringer die
Abstellung ist, und je länger es dauert, desto weniger kann man die
Beinaktion noch als zweitaktig bezeichnen. (Nicolas di Santa Paulina
z.B. beschreibt so ein unmerkliches Nachziehen des einen Beines).
Weil in der Neuzeit niemand dieses Seitwärts untersucht und
beschrieben hat, ist noch nicht geklärt, ab wann das Nachziehen des
äußeren Hinterbeines dessen gymnastizierende, meditative und
gleichgewichtsfördernde Wirkung zu stark reduziert. Das Seitwärts
erfordert eine hohe Konzentration und Ausbalancierfähigkeit beim
Pferd, und es erhebt sich dabei gelegentlich in einen Terre-a-Terre
Sprung, weil dieser ihm leichter ist, denn es kann sich bei diesem
Terre-a-Terre auf beide Hinterbeine gleichzeitig stützen, als
stabilere Basis für sein Gleichgewicht: mit diesem einen
Terre-a-Terre-Takt beruhigt es sich und kann danach besser im
Seitwärts erneut balancieren. Kann ein Pferd das Seitwärts korrekt
und gleichmäßig ausführen, hat der Reiter erreicht, „dass es
zwischen Hand und Fersen ist“, d.h. gut auf diese reagiert. Es gilt
dann bereits als halb ausgebildet. Zu beachten ist, dass das
Seitwärts nur seine segensreichen Wirkungen entfalten kann, wenn es
im Schritt ausgeübt wird, im Trab dagegen richtet es eher Schaden
als Nutzen an! Das Seitwärts darf schon ab einem Pferdealter von
viereinhalb Jahren eingesetzt werden, dagegen soll erst ab dem
fünften Geburtstag des Pferdes mit der Galopparbeit begonnen werden
(S. G. Winter)

Der Reitschüler erlernt die Hilfen für das Seitwärts auf einem ausgebildeten Pferd
"Wolberrittener Cavallier", Simon Georg Winter
2. Der Terre-a-Terre: Auch der
Terre-a-Terre wird heute nicht benutzt, da bisher nur wenige Reiter
wissen, wie er aussieht und wie man ihn auslöst. Terre-a-Terre ist
französisch und bedeutet: „von der Erde zur Erde“ (als Gegensatz
zu: „von der Erde zur Luft“ in den sogenannten „Airs“ Levade,
Courbette, oder gar denen „in der Luft“ bei den Schulsprüngen).
Im Italienischen wurde er als „Radoppio“ bezeichnet: als Galopp
in zwei Takten. Diese Bezeichnung findet sich dann auch im Deutschen
als „Redop“. Der Sinn des Terre-a-Terres war, eine sichere
180° Wendung auszuführen, die dicht über dem Boden blieb, wodurch
das Pferd sich bei einem Zusammenstoß mit einem Gegner besser
abfangen konnte. Deshalb schreibt La Broue, dass ein Terre-a-Terre
eigentlich nur sinnvoll ist, wenn er auf einem kleinen Halbkreis
ausgeführt wird; für ihn ist er eine Kampfmanege, die nicht zu den
kunstvollen Airs (den „hohen Schulen“ oder auch: „Schulen über
der Erde“) gehört. Erfolgt diese Wendung pirouettenartig im
Terre-a-Terre, darf dies niemals an der Wand geschehen, da das Pferd
sonst mit seinem Gesäß in die Wand prallen würde! Zum Üben
reitet man diese Lektion manchmal entlang einer geraden Linie oder
einer Wand: d.h. das Pferd springt in diesem zweitaktigen „Galopp“
auf einer Linie seitwärts fast senkrecht zu dieser, in einer
Abstellung von 85°, oder: „mit der halben Schulter voraus“ (wie
beim Seitwärts/Passege im Schritt). Dieser Terre-a-Terre wird dann
als „gerade oder geradeaus“ bezeichnet, was häufig in der Weise
missverstanden wird, dass es auch einen Terre-a-Terre gebe, der nicht
eine Seitwärtsbewegung sei, welches aber per definitionem unmöglich
ist (wer in diesem Irrtum befangen ist, bezeichnet gelegentlich
Courbetten geradeaus als Terre-a-Terre). Kann ein Pferd den
Terre-a-Terre korrekt und gleichmäßig ausführen, gilt es als mehr
als halb ausgebildet.

Der Reitschüler bekommt ein Gefühl für den Rhythmus im Terre-a-Terre auf einem hoch ausgebildeten Pferd
"Wolberrittener Cavallier", Simon Georg Winter
(Man beachte die Haltung der Gertenhand, die durch ihre Supinationsstellung gegen ein Einrollen der rechten Schulter wirkt!)
3. Die Falkade (vom ital. "falce" = Sichel) ist ein Erheben der Vorhand,
wobei die Vorderbeine sichelförmig nach vorn gehalten werden,
weniger hoch als in der Mezair (welche wiederum nur halb so hoch wie
Courbetten ist), und das Pferd quasi „auf dem Sprung“ nach vorn
ist. Sie kann eingesetzt werden als Vorstufe der Carriére, wobei man
dann das Pferd aus der zweiten oder dritten Falkade fulminant
ansprengen lässt. Die Falkade kann aber auch als Einstimmung des
Pferdes für eine ruhige Terre-a-Terre Wendung benutzt werden. Bei
der Falkade und beim Terre-a-Terre nimmt das Pferd die Hüften nicht
unter sich, sondern der Pferderücken bleibt gerader und länger als
z.B. in der Levade.
4. Die
Levade (das Erheben) wurde bis ca. 1800 als Pesade bezeichnet
(vom italienischen „Posata“ = Setzen) und ist gleichzeitig eine
Erhebung der Vorhand des Pferdes und ein Absenken der Hinterhand,
wodurch das Pferd „auf die Hüften gesetzt wird“ durch Nachgeben
in seinen Hüft- und Kniegelenken, und es dabei die Hüften unter
sich bringt. Auch für die Levade ist es sehr wichtig, dass das Pferd
sehr gut zwischen Hand und Fersen ist, deshalb war der Terre-a-Terre
die Voraussetzung für den Beginn der Arbeit mit den Levaden.
5. Das Gehen in
Courbetten: Laut Solleysel/Cavendish kann ein Pferd keine
korrekten Courbetten erlernen, wenn es nicht zuvor perfekt den
Terre-a-Terre erlernt hat. Bei La Broue gibt es dafür aber eine
Ausnahme: Pferde, die sich extrem schwer tun mit dem Erlernen des
Terre-a-Terres, können manchmal sogar besser voran kommen, wenn sie
zuerst die Courbetten erlernen (dies muss der Reiter natürlich
erkennen können, wozu es sehr viel Erfahrung in dieser Art der
Ausbildung braucht).
Für La Broue sind
Courbetten geradeaus sinnlos, und weil es schwer ist, das Pferd von
geradeaus Courbetten danach auf jene auf gebogenen Linien
umzustellen, rät er, nur am Anfang wenige Courbetten geradeaus zu
machen, bis das Pferd gerade eben verstanden hat, was es tun soll,
und dann sogleich auf gebogene Linien umzustellen.
6.
Das Springen in Croupaden oder das in Kapriolen ist für
manche Pferde passender als das Gehen in Courbetten: ist der Reiter
fähig, die Veranlagung des jeweiligen Pferdes zu einer Air zu
erkennen, kann er sich sehr viel Mühe und Verdruss ersparen, wenn er
es nur in „seiner“ Air, die seinen natürlichen Anlagen
entspricht, fördert. Auch für den Beginn dieser Lektionen ist ein
guter Terre-a-Terre Grundvoraussetzung.
7. Die Pirouette ist eine Wendung auf der Hinterhand, bei der die Hinterfüße im
Zentrum des Wendekreises bleiben. Als einfachste Pirouette könnte
man die Hinterhandwendung im Stehen ansehen, aber eigentlich gemeint
ist mit diesem Begriff eine Wendung in Sprüngen/Schlägen der
Vorhand, z.B. als Herumwerfen des Pferdes über seiner Hinterhand
dicht über dem Boden auf einem Kreis mit einem Durchmesser (nicht
Radius!) von der Länge des Pferdes (welches ich als
„Terre-a-Terre-Pirouette“ bezeichne), oder als „echte
Pirouette“, dem hohen Drehen auf der Hinterhand mit dichtem
Übertreten des äußeren Hinterfußes über den auf einer Stelle
bleibendem inneren Hinterfuß in höheren Courbetten, oder in etwas
niedrigeren Courbetten, welche als halbe Courbetten (Mezair / mezza
aria) bezeichnet werden. Bei beiden Formen kann man eine
Demi-Pirouette, also einen halben Kreis, in zwei oder drei Takten /
Schlägen des Pferdes zurücklegen, oder eine volle Pirouette in vier
bis fünf Schlägen. (Der heutige Begriff „Galopppirouette“
wurde damals nicht benutzt, da für eine Pirouette das Verbleiben der
Hinterhand auf einer Stelle im Zentrum des Kreises erforderlich ist,
welches einen Galopp auf der Stelle erfordern würde, den es nicht
gibt).
Voraussetzung für die
hohen Schulen ist ein freies Pferd
Die hohen Schulen gelingen nur, wenn das
Pferd nicht gezwungen wird. Das bedeutet, der Reiter kann es nur
bitten, freiwillig diese Lektionen auszuführen. Das wiederum
bedeutet, dass das Pferd gesund und entspannt, vertrauensvoll und mit
Energie geladen sein muss. Ein „Abreiten“ vor der Arbeit ist
hierzu extrem kontraproduktiv, der Kunstreiter nennt dies deshalb
auch „matt reiten“. Solleysel lässt seine Pferde nur 40
Schritte gehen, bevor er anfängt zu arbeiten; La Broue schreibt, für
die höheren Lektionen sei es sinnvoll, diese nur jeden zweiten oder
dritten Tag auszuführen und Cavendish rät gar, wenn ein Pferd voll
ausgebildet ist, es nur einmal pro Woche zu fordern! Bei Anzeichen
von Ermüdung oder beginnender Lustlosigkeit bricht der Kunstreiter
sofort ab, und so dauert manche Reiteinheit nur acht Minuten, in
denen aber konzentriert gearbeitet wird. Nur deshalb kann Cavendish
schreiben: „Ein freies Pferd braucht keine Sporen“, denn es hat
von sich aus ausreichenden Elan und Spaß an der
Arbeit.(Voraussetzung dafür ist allerdings der Kunstreitersitz, der
das Pferd nicht bremst, wie es der Englisch-Sitz macht, weil bei
letzterem der Reiter auf der Vorhand sitzt).
La Broue findet
es zwar bewundernswert, eine Demi-Volte in zwei Schlägen zu
schaffen, warnt aber davor, das die Pferde die dazu fähig sind,
schon nach ein oder zwei Meilen nicht mehr ausreichend Elan dazu
haben, und hält es deshalb für klüger, gleich darauf zu verzichten
und nur dreischlägige Demi-Volten zu trainieren.
Cavendish
erwidert auf die Bedenken, hohe Schulen einem Kampfpferd besser nicht
beizubringen, weil das Erheben in einer Schlacht viel zu gefährlich
sei und das Pferd dabei leicht umgestoßen werden könne: man sei ja immer
mindestens drei bis fünf Meilen zum Schlachtfeld unterwegs, und
danach sei die Lust des Pferdes, von sich aus hohe Schulen
auszuführen, ohnehin stark vermindert. (Der Gewinn durch die hohen
Schulen, das Pferd zwischen Hand und Fersen zu bringen, sei dagegen
für ein Kampfpferd immens). Cavendish
schreibt auch, seine Reiteinheiten seien oft so kurz, dass sechs von
ihnen in eine Stunde passen..
Zu Freiheit und
Entspannung gehört dann aber auch, das Pferd immer wieder mal
langgestreckt zu reiten, sei es im Gelände mit ausgreifendem Trab,
in ruhigen Galopp oder auch es sich gelegentlich in schnellem
Jagdgalopp austoben lassen. In der Reitbahn beginnt man ja nach den
40 Schritten zunächst mit einigen kleinen Kreisen, geht dann weiter
zum meditativen Seitwärts und dann evtl. zum Terre-a-Terre,
versammelt also das Pferd immer mehr. Wenn man dann den Abschluss
signalisiert, indem man das Pferd abschießen lässt in einem weit
ausgreifenden, schnellen Galopp, womöglich gar mit Start in der
Carriere, quieken oder brummen die Pferde manchmal vor Begeisterung.
Der Sitz des
Kunstreiters
Der Reiter soll seine Füße
so in die Steigbügel stellen, dass er eine feste Anlehnung an diese
hält, mit einem Gefühl als stünde er auf dem Boden. Nimmt der
Reiter diese Anlehnung in der richtigen Weise, geht seine
Rückenspannung direkt aus den Bügeln bis in seinen Kopf; geht er
aber von der dafür nötigen Streckung in den Kniegelenken ab, indem
er die Waden nur minimal zu weit nach hinten führt, würde diese
Kraftlinie abbrechen und die Wade nur noch ein Anhängsel des Kniegelenks, das
keine tragende/stützende Rolle mehr spielt: zwei Drittel der Basis
würden dadurch verloren gehen, und das Gleichgewicht würde prekär und gefährlich. Als
Ergebnis würde er auf der Sattelfläche hin und her rutschen und vor und
zurück. (Ein untrügliches Zeichen für den richtigen Sitz ist, wenn
er niemals seinen Unterleib/seine Genitalien prellt, wie es im
Englischsitz ja immer wieder mal vorkommt).
Wenn hierbei die
Reiterbeine etwas nach vorn kommen, schadet das nicht, je nach
Situation kann dies aber übertrieben werden. Der Reiter soll immer
auf seinem Damm, und so weit vorn im Sattel wie möglich sitzen. Der
Kontakt von Damm zum Sattel soll möglichst immer erhalten bleiben,
dadurch kommt der Bauch des Reiters nach vorn, als Ausgleich nimmt
er seinen Oberkörper etwas zurück.
Der Oberkörper des Reiters soll aufrecht und gerade
sein, die Schultergelenke nach hinten genommen, um ein Einrollen der
Schultern und ein konsekutives Nachvornfallen zu vermeiden, welches
das Pferd auf die Vorhand brächte.
Das Gefühl im Englischsitz ist
ja eher so ähnlich wie beim Schieben einer Schubkarre: der Oberkörper tendiert
dazu, nach vorn zu fallen, und die Beine nach hinten zu kommen; im
Kunstreitersitz dagegen hat der Reiter eher das Gefühl, sein
Körper sei eine gerade, aufrechte Einheit, die von der Pferdebewegung insgesamt
und stabil nach vorn geschoben wird, wie ein Segelboot vor dem Wind.
Die Zügelhand, in der die
Kandarenzügel liegen, soll mittig über dem Widerrist gehalten
werden, so gekippt, dass die Handfläche eher nach oben zeigt (etwas
supiniert ist); die Oberarme sollen etwas vom Oberkörper weggehalten
werden, damit die freie Bewegung des Oberkörpers nicht durch ein
Anlegen der Oberarme behindert wird: dies wird u.a. dadurch erreicht,
dass man das Handgelenk weder beugt noch streckt, es soll eine gerade
Linie von Handrücken und Unterarm entstehen.
Die Reiterhände bilden
keine starren, angespannten Fäuste, sondern diese sind entspannt
geöffnet und ganz locker, die Zügelhand noch weiter offen als die
Gertenhand, da mit Kandarenzäumung nur ein winziger Kraftaufwand
nötig ist, und zumindest als Anfänger in den ersten Jahren soll der
Daumen nicht auf die Zügel gehalten werden, um die Einwirkung der
Zügel so leicht und weich wie möglich zu halten. Bei dieser Zäumung
wird zum Verringern der Geschwindigkeit das Pferd versammelt, indem
(zusätzlich zum Zurückführen der Schultergelenke des Reiters) die
Zügelhand unter minimalem Vorführen angehoben wird, wodurch die
Kinnkette zu wirken beginnt und das Pferd den Kopf hebt (und nicht
durch Zurückziehen der Zügel wie bei Trensen- oder Kappzaumzäumung).
Zum Zulegen wird
(zusätzlich zum Nachvorneführen der Schultergelenke) die Zügelhand
abgesenkt, dadurch legt sich das Pferd etwas auf das Mundstück, was
durch ein leichtes Anziehen der Zügel unterstützt wird: so streckt
es sich vorwärts abwärts und verlängert die Schritte.
Die Fingermittelgelenke (PIPs) sollen zueinander
zeigen, also in einem 90°-Winkel zur gegenüberliegenden Seite
zeigen. Die Fingernägel sollen zur Reiterbrust zeigen
(Supination). Dieselbe Haltung, etwas neben dem Widerrist/der
Zügelhand nimmt die Gertenhand in Ruheposition ein. Beide Hände
werden richtig gehalten, wenn man sich vorstellt, man lege seine Arme
beim Tanzen locker um den Partner herum und seine Hände in dessen
Rücken und berühre ihn nur mit den Händen. Anfangs helfen „kissing
PIPs“ beim Training. Die Arme werden etwas vom Oberkörper
abgehalten: wenn man man merkt, dass dies etwas Kraft kostet, ist man
im richtigen Bereich, und der Körper des reiters kann frei zwischen
den Armen schwingen. Auch einige FN-Reitlehrer raten ja noch: "Nicht mit verdeckten Händen reiten!"
Erlaubt der Reiter nun seinem Bauch, etwas
nach vorn zu kommen, entsteht irgendwann das Gefühl des Schwebens
mit dem Pferd, das ihm anzeigt: hier ist etwas richtig!
Der
Reiter soll nicht zum Boden sehen (sondern immer mindestens 3m vor
dem Pferd, besser weiter nach vorn), und mit erhobenem Kopf nach vorn
durch die Ohren des Pferdes blicken.
Promeniert man auf seinem Pferd außerhalb der Reitbahn, hält man die Gerte herunter hängend, wenn man die Zügel nicht in derselben Hand hält, sonst aber aufrecht. Um seine Haltung zu trainieren, kann man dabei die Faust, in der man keine Zügel hält, auf verschiedene Arten in seine Hüfte halten, um seine Körperhaltung zu verbessern, was zur erwünschten deutlichen Rückführung des Schultergelenkes führt und die angestrebte aufrechte Oberkörperhaltung erzeugen kann. Hierbei muss man allerdings auf Übertreibung verzichten um nicht arrogant und überheblich zu wirken.
Die Gerte des Kunstreiters
In der Reitbahn während der Arbeit wird die Gerte meist mit der Spitze nach oben gehalten, weil so eine viel größere Anzahl von Gertenstellungen erzielt werden können als bei der Abwärtshaltung. Das bedeutet, die Gerte verlässt die Faust an der Daumenseite, und liegt mit ihrem Ende in der Mitte der Handfläche auf. So kann der Reiter sie trotz mehr oder geringerer Supination (=Drehen der Handfläche nach oben), mehr oder geringerer Beugung im Gertenhandgelenk, höherer oder tiefer Haltung der Gertenhand die Gerte immer in dieselbe Richtung, die er braucht, zeigen lassen.
Auf fast allen Darstellungen von Kunstreitern aus der Zeit um 1550 bis 1789 verschwindet das dicke Gertenende in der Hohlhand des Reiters. (Eine Ausnahme bildete Cavendish, der schreibt, man würde die Gerte sicherer halten, wenn das untere Ende etwas aus der Gertenfaust herausrage: wahrscheinlich war diese Schwäche seiner Gertenhand aber schon ein Anzeichen seiner beginnenden Parkinsonkrankheit).
Endet die Gerte in der Hohlhand, blockiert sie nicht die Freiheiten des Reiterkörpers und der Handeinwirkung, und der Reiter kann sie viel besser variieren: hält man sie aufrecht, stützt man das dicke Gertenende in der Hohlhand ab; hält man sie abwärts, liegt der Gertenhanddaumen auf dem dicken Gertenende in derselben Stellung wie der Daumen der Zügelhand manchmal auf den Zügeln.
Benutzt man keine Sporen beim Reiten, muss die Gerte gelegentlich zum Antreiben des Pferdes benutzt werden: wollte man dies in der dem Turnierreiter gewohnten Weise auf der Seite der Gertenhand tun, müsste man aber die Gertenhaltung von aufwärts zu abwärts wechseln. Weil dies jedoch viel zu viel Zeit benötigt, wenn die Gerte zum prompten Rügen/Treiben des Pferdes verwendet werden soll, kann man sie nur auf der Zügelhandseite einsetzen, was wiederum bedeutet, das man die Gertenhand vorn vor dem Reiterbauch herum führen muss, um mit der Gerte die gegenüberliegende Flanke des Pferdes zu erreichen.
Verlässt die Gerte die Gertenfaust dagegen am Kleinfingerende, kann man sie entweder abwärts halten, oder nach hinten etwas schräg aufwärts zum Touchieren der Kruppe des Pferdes.
Will man seine korrekte Körperhaltung trainieren, kann man die Faust, die die Zügel nicht führt, in seiner eigenen Hüfte so halten/abstützen, dass die Mittelfingergelenke in 90° zur Längsachse des Pferdes stehen: so kommt das Schultergelenk des Gertenarmes weit genug nach hinten, und man kann die Stellung des anderen Schultergelenkes daran anpassen, was die perfekte Haltung des Oberkörpers produziert. Diese Haltung half dem alten Fritz, die ungünstigen Auswirkungen seines fixierten Rundrückens etwas zu kompensieren. Die drei Arten der Fausthaltung ergeben unterschiedliche Auswirkungen auf Versammlung oder Zulegen.
Reitet man außerhalb der Reitbahn an Menschen vorbei, sollte man die Gerte lieber abwärts halten, da sie ansonsten nicht selten intuitiv von Fußgängern als Bedrohung empfunden wird. Möchte man im Gelände Reitkunstübungen machen, kann man sie natürlich bei Bedarf wieder aufrecht halten.
Um sie gut führen zu können, sollte sie sehr leicht sein, ein gutes Gewicht wäre 55g (80g ist dagegen schon zu schwer), ein nicht allzu dickes Ende oder gar einen Knopf am Ende besitzen und so lang sein, dass der Reiter sie bequem auf der Zügelhandseite am Oberschenkel des Pferdes einsetzen kann. Am besten geeignet ist z.B.ein getrockneter Apfelbaumtrieb, der ruhig ein wenig gebogen sein kann.
Die für mich wichtigsten Lehren in den letzten Jahren: Pferde zeigen keinen Schmerz, es sei denn, er wird übermächtig! Für ein Fluchttier bedeutet es den sicheren Tod, Schmerzen zu zeigen (z.b. zu lahmen), denn dadurch würde es von den Raubtieren als leichte Beute erkannt!
Wir müssen also täglich alles Erdenkliche in Betracht ziehen und jedes kleinste Anzeichen für eine Störung im absoluten Wohlbefinden zu entdecken versuchen; denn wenn wir etwas bemerken, hat das Pferd wohl schon beträchtliche Schmerzen. Dies ist für uns Menschen eine sehr schwierige Aufgabe, die täglich aktiv durchgeführt werden muss (vor allem mit wenig Erfahrung!), denn unser Verstand läuft meistens auf Autopilot und kann dann nur Dinge beurteilen, die ganz offensichtlich zu Tage treten.
Versteht ein Pferd eine weiche Hilfe nicht, schadet es nur, sie hart zu geben!!
Das Ziel eines guten Reiters muss auch für sein Pferd lauten: "Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper"! Das bedeutet, psychische Schäden durch alleinige Käfighaltung, mangelnden Auslauf, fehlende soziale Kontakte, Gewalttätigkeit, psychische Überforderung in der Arbeit können körperliche Schäden auslösen!
Umgekehrt führen ein nicht entdeckter Hufschaden, ein Muskelkater/-verspannung/-zerrung, ein falscher Sattel, eine rohe Hand oder eine körperliche Überforderung zu einem unwilligen, genervten oder ängstlichen Pferd, das sich nicht auf seine Lektionen konzentrieren kann.
Keine schlechte Pflege! Steinbrecht weist nicht ohne Grund deutlich darauf hin, dass der Reiter sein Pferd nur eine Stunde täglich selbst betreut, der Pferdepfleger/-wirt hingegen die restlichen 23 Stunden!
Die Lektionen der Ausbildung sind für das Pferd da und nicht das Pferd für die Lektionen! Sie sollen das Pferd in jeder Hinsicht gesund erhalten und es so für den Gebrauch in höchstem Maße fit machen.
Ein sehr schöner Spruch: "Bis zum Alter von 6 Jahren ist dein Pferd der Freund deiner Feinde, danach ist es dein Freund, und ab 12 ist es ein Pferd für Könige!"
Rationalisieren beim Reiten Rationalisieren bedeutet, eine Handlung mit einer anscheinend vernünftigen (ratio = Vernunft) Erklärung auszustatten.
Auch in der Reitkunst mit ihren vielfältigen Herausforderungen an den Reiter wird häufig rationalisiert. Weil ihm diese scheinbar vernünftige Erklärung ausreicht, gewöhnt der Reiter sich vielleicht so sehr daran, dass so eine Handlung jahrzehntelang ausgeführt wird, ohne infrage gestellt oder gar korrigiert zu werden. Und machen alle denselben Fehler, wird jeder dieser Reiter noch darin bestärkt, und es wird fast unmöglich, sich dies abzugewöhnen und durch eine besseres Verhalten zu ersetzen.
Fragt man den Reiter, warum er fast permanent nach unten sieht, antwortet er ganz erstaunt darüber, dass jemand so eine dumme Frage stellen kann: „Ich muss ja kontrollieren, wie mein Pferd geht!“ Die darauf folgende Frage löst dann allerdings Ärgernis aus: Was kann ich denn durch den Blick nach unten kontrollieren? Ich kann weder sehen, wie das Pferd die Beine bewegt oder gar wie es seine Hufe aufsetzt: die Pferdeschulter versperrt ja den Blick darauf. Die Schulterbewegung selbst bringt nur äußerst selten ein nützliche Information (einzige Ausnahme beim Anfänger: wenn man mit dem Touchieren an einem Schulterblatt kontrollieren will, ob das Pferd tatsächlich "schulterfreier“ geworden ist, d.h. ob es sich soweit auf der Hinterhand trägt, dass der unangenehme Touchée die Schulter zucken lässt, was ja nur möglich ist, wenn es nicht „schwer auf der Schulter liegt“, wohingegen ein fortgeschrittener Reiter dies erspürt,ohne hinsehen zu müssen).
Auch die Halsbiegung kann der Reiter sehr gut beurteilen, ganz ohne seinen Kopf und den Blick zu senken; und den Weg, den das Pferd gehen soll, sogar viel besser erkennen, wenn er sich mit erhobenem Kopf an weiter entfernten Wegmarken wie z.B. Zirkelpunkten orientieren kann, und Haltung und Geradegerichtetsein gut an horizontalen Linien, wie z.B. dem Oberrand der Banden beurteilen. Trägt der Reiter den Kopf fast permanent hoch, stellt er irgendwann erstaunt fest, dass er in Wirklichkeit jede Bewegung des Pferdes erfühlt und hinzusehen keinerlei zusätzliche Information verschafft (Ausnahme: wenn der Anfänger nicht fühlen kann, ob das Pferd Links- oder Rechtsgalopp geht).
In Wirklichkeit kommt ja das Nach-unten-Sehen des Reiters durch das fehlerhafte Eindrehen der Schultern in Folge einer falschen Handhaltung (pronierte anstatt korrekt supinierter Hände).
Ein Grund dafür, warum es manchen Reitern schwer fällt, diese Haltung zu korrigieren, kann eine Unsicherheit des Reiters oder mangelndes Vertrauen zum Pferd sein: wenn er eingerollte Schultern hat, liegt er ja dem Pferd auf der Vorhand und hat so das Gefühl, es könne deshalb nicht so leicht plötzlich vorwärts preschen (wozu manche Pferde mit hohem Heißblüteranteil ja neigen): so wird allerdings die "eigentlich" gewünschte Leichtigkeit der Vorhand aus Angst lieber behindert, und dadurch das Pferd dauernd gebremst.
Das Wort „eigentlich“ zeigt ein Rationalisieren sehr genau an, es bedeutet ja, dass man wider besseres Wissen gehandelt hat, also irrational (=unvernünftig): "Eigentlich weiss ich ja, dass man den Kopf aufrecht halten und den Blick nach vorn richten soll, aber…"
Reitkunst im Gelände Für den Freizeitreiter besonders wichtig sind die Ergebnisse seiner Reitkunstübungen im Gelände: ein Pferd, das nicht aus Angst gehorcht, sondern vom Reiter sanft zur Mitarbeit gebeten wird, wie es die akademische Reitkunst lehrt, wird sich im Gefahrenfall vertrauensvoll an seinen Reiter wenden, um zu entscheiden, was es tun soll und nicht der evtl. größeren Furcht vor anderen Dingen als der Reitergewalt nachgeben und durchgehen.
Ein wendiges, geschultes Pferd erlaubt das Schließen eines Tores vom Sattel aus, ist sehr bequem zu sitzen und hat eine wesentlich längere „Haltbarkeit“, da seine Gelenke durch die enorm erhöhte Trittsicherheit und die Verlagerung des Pferdegewichts in Richtung der Hinterhand maximal geschont und verbessert werden.
Zudem ist schon ein nur etwas höher geschultes Pferd äußerst hilfreich z.B. beim Durchreiten engstehender Bäume, um Knieverletzungen des Reiters zu vermeiden, was bei einem Campagnepferd, das gerade so eben gelernt hat, den inneren Schenkel zu akzeptieren, schon öfter mal vorkommen kann.
Hat ein höher geschultes Pferd mehr Kraft und Präzision in der Hinterhand, kann es im Notfall natürlich auch sicherer springen, was es im Vertrauen auf den Reiter auch willig machen wird, so lange das Hindernis Größe und Ausbildungsstand des Pferdes angepasst bleibt und es nicht sehr häufig springen muss.
Entwicklung der Reitkunst
Wichtige Bücher über die Reitkunst:
380 v.Chr. "Über die Reitkunst", Xenophon (*430 v. Chr. - †355 v. Chr.) (griech.)
1550 "Ordini di cavalcare", Grisone (*1507-†1570) (ital.)
1556 "Trattato dell’imbrigliare, atteggiare e ferrare cavalli", Cesare Fiaschi ( † 1571)
1562 "Il Cavallerizzo", Claudio Corte (ital.)
1567 "La Gloria del cavallo", Pasquale Caraciollo (ital.)
1584 "The Art of Riding According to Claudio Corte", Thomas Beddingfield, London, (engl.)
1584 "The Art of Riding: A Discourse of Horssemanship", John Astley, London
1595 "Le cavalerice francois", La Broue (*1530- †1610?) , La Rochelle, (frz.)
1609 "Della Cavalleria", Löhneysen (*1552-†1622) , Remlingen,(dt.)
1623 "La Maneige Royale", Pluvinel (posthum) (frz.)
1625 "L'instruction du Roy....", Pluvinel (posthum) (frz.)
1650 "Il cavallo del maneggio",Giovan Battista di Galiberto (ital.)
1658 "La Methode General...", William Cavendish/Newcastle (*1593 - †1676) (frz.)
1667 "A New Method...", William Cavebdish/Newcastle (engl.) : stark abgeänderte Übersetzung ins Franz. 1677 von Solleysel;
1675 "Wolberrittener Cavallier", Simon Georg Winter / Adlersflügel
1677 "Methode nouvelle ", Jaques Solleysel, stark veränderte Überstzg des engl. Newcastle von1667; Paris, (frz.)
1696 "L'Arte del Cavallo", Nicola und Luiggi di Santapaulina; Padua (ital.)
1700 "Neu eröffnete Reitbahn", Übersetzung des Solleysels von 1677, Nürnberg (dt.)
1722 "Neue Reit-Kunst", Johann Elias Ridinger (dt.)
1727 "Manege moderne..", Friedrich Wilhelm von Eisenberg (London) (frz.)
1733 "Ecole de Cavallerie", Francois Robichon de la Gueriniere, (*1666-†1751) (frz.)
1747 "Dictionnaire des Termes du manége Moderne", Eisenberg
1748 "Wohleingerichtete Reitschule...", Eisenberg, Übersetzung der Manege Moderne, Zürich (dt.)
1756 "L'Art de Cavalerie", Gaspard de Saunier (posthum) (*1663 -†1748), Paris, (frz.)
1760 "Vorstellung und Beschreibung...", Ridinger (*1698 -†1767) , Augsburg, (dt.)
1774 "Der Bereiter", Johann Gottfried Prizelius, Braunschweig, (dt.)
1777 "Vollständige Pferdewissenschaft", Johann Gottfried Prizelius, Leipzig,(dt.),
1790 "Arte da Cavalleria", Andrade (*1755-†1817) (port,)
1791 "Die Reitkunst", Daniel Knölls Gueriniere Übersetzung , Marburg, (dt.) |
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